The Lady - Ein geteiltes Herz | Kritik (2024)

Luc Bessons Blick auf Aung San Suu Kyis Leben konzentriert sich ganz auf ihr Leben als Privatmensch und weicht den meisten politischen Inhalten weiträumig aus.

Als gewöhnlicher Zeitungsleser eines europäischen Landes weiß man nicht unbedingt viel über Aung San Suu Kyi – wohl im Allgemeinen nur, dass die Friedensnobelpreisträgerin die Hoffnungs- und Führungsfigur der demokratischen burmesischen Opposition ist, dass sie jahrelang unter Hausarrest in Rangoon stand und kaum jemand sie von außen persönlich zu Gesicht bekam. Das ist insofern nicht verwunderlich, als die burmesische Politik hierzulande auch keine besonders große Rolle spielt und in den letzten Jahren allenfalls im Rahmen größerer Proteste in den Medien auftauchte.

Dabei verbirgt sich hinter dieser Politikerin Aung San Suu Kyi eine Persönlichkeit mit höchst eigener Geschichte. Diese zu erzählen hat sich Luc Besson zur Aufgabe gemacht – und so ist nun The Lady – Ein geteiltes Herz entstanden, nicht zuletzt auf Betreiben der Hauptdarstellerin Michelle Yeoh hin, die sich ihrer Figur in Aussehen und Habitus so dicht wie möglich anschmiegt.

The Lady beginnt mit einem Schlüsselmoment im Leben der Burmesin: Ihr Vater Aung San, General und Gründer der kommunistischen Partei von Burma, zudem zentrale Figur im Unabhängigkeitskampf gegen die Briten, wird während einer Kabinettssitzung erschossen. Dann springt die Handlung von 1947 ins Jahr 1988: Aung San Suu Kyi lebt mit ihrem Mann, dem Kulturwissenschaftler und Spezialisten für asiatische Geschichte Michael Aris (David Thewlis), und ihren zwei Kindern in Oxford, als sie erfährt, dass ihre Mutter schwer krank geworden ist.

Kaum im Land angekommen, wird Aung San Suu Kyi innerhalb kürzester Zeit zur Identifikationsfigur der demokratische Opposition gegen die herrschende Militärregierung und wird schließlich das Land bis heute nicht mehr verlassen – selbst als ihr Mann an Krebs erkrankt und ihm die burmesische Regierung keine Visa mehr ausstellt, reist sie nicht aus, weil sie befürchtet, nicht wieder ins Land zurückgelassen zu werden.

Es ist dieser persönliche Teil von Aung San Suu Kyis Geschichte, mit dem sich The Lady auseinandersetzen will – ihre Beziehung zu Michael Aris und ihren Kindern, die Auseinandersetzung mit der Einsamkeit des Hausarrests, der Wille schließlich, gegen alle Widerstände durchzuhalten. Dabei bleiben jedoch politische und biografische Zusammenhänge weitgehend außen vor. So wird nie deutlich, was die Politikerin, über ihre Abstammung als Tochter von Aung San hinaus, zu so einer Leitfigur gemacht hat und warum gerade sie so geeignet war und ist, diese Führungsposition in Burma zu übernehmen. Alles bleibt Andeutung: Ein Hungerstreik verweist auf Willensstärke, ein offenbar umfangreiches Buchprojekt auf ihre intellektuellen Fähigkeiten.

Mit anderen Worten: Die Konzentration auf die emotionalen Entwicklungen in Aung San Suu Kyis Leben gehen auf Kosten der Darstellung einer vollständigen Persönlichkeit. Während ihrer langen, einsamen Hausarreste sieht man sie im Film meist sehnsüchtig aus dem Fenster blicken – es fehlen ihr, das suggeriert der Film, Kinder und Ehemann. Dass die reale Aung San Suu Kyi sich in dieser Zeit etwa Sprachen selbst beibrachte, verschwindet so völlig; und obwohl man sie in The Lady bei Planungsbesprechungen mit den anderen Führungsmitgliedern ihrer Partei sieht, wirkt sie doch immer mehr als deren emotionales, nicht intellektuelles Zentrum. Und wenn ihr Mann sich durch viel Diplomatie und Gespräche darum bemüht, ihr international Anerkennung zu verschaffen – was ihm mit der Verleihung des Friedensnobelpreises an seine Frau schließlich gelingen wird –, so wird sichtbar, was er dafür getan hat. Wofür sie den Preis allerdings erhielt, bleibt nebulös.

Diese Lücke verweist auf ein grundlegendes Problem des biografischen Films. Das Biopic muss immer verkürzen, und die vor allem dramaturgisch nächstliegende Beschränkung liegt meist darin, die Weltläufe als gegeben vorauszusetzen, während das Persönliche, Emotionale – also auch: für das Publikum am leichtesten Nachempfindbare – betont und damit implizit aber auch verstärkt wird.

So entsteht das Problem, dass ein Film komplexe Gedankenstrukturen und Prozesse darauf reduziert, sie aus der persönlichen Psychohistorie eines oder einiger Protagonisten erzählen zu wollen. Daraus folgt aber geradezu zwangsläufig ein Verschwinden des Politischen in seiner ganzen Bandbreite. Das wurde von der Kritik zuletzt auch bei Phyllida Lloyds Die eiserne Lady(The Iron Lady, 2011) bemängelt, in dem, so der Tenor, die Prozesse und Folgen der Politik Margaret Thatchers – die ja letztlich ihre historische Bedeutung ausmacht und damit den Grund dafür, dass der Film überhaupt entstanden ist – hinter Fragen der Persönlichkeit verschwinden.

Ansätze zu einer reflektierteren Haltung sind in The Lady immerhin enthalten: Leben und Natur in Burma sind zwar etwas schmalzig als wunderschön, aber frei von Exotismus gezeichnet; und auch wenn die regierenden Generäle kaum finsterer dreinschauen und bösartiger agieren könnten – die Soldaten, mit denen die Protagonistin zu tun hat, sind doch etwas komplexere Charaktere.

Letzten Endes wurde der Film freilich vor allem von der Realität überholt: Derzeit scheint sich das Land in einem Demokratisierungsprozess zu befinden, die echte Aung San Suu Kyi wurde Ende 2010 aus dem Hausarrest entlassen und tritt wohl zu den für dieses Jahr angesetzten Wahlen an. Manchmal, so steht zu hoffen, schreibt das Leben Happy Ends, die ein Film sich nicht recht trauen kann.

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Author: Otha Schamberger

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